2019


August 2019

Bericht: Rolex Fastnet Race 2019, Autor: EK

 

03.08.2019, kurz vor 1300 h BST:

Das Großsegel bereits gesetzt, die Genua noch eingerollt, wir drei in voller Montur und angespannt bis unter die Haarspitzen, so bewegten wir uns zwischen den ca. 380 anderen Schiffen langsam in Richtung der Startlinie des berühmten Rolex Fastnet Race 2019 unmittelbar vor dem Royal Squadron Yachtclub in Cowes auf der Isle of Wright. Die superschnellen französischen Trimarane waren schon längst außer Sicht und auch die Profis mit den IMOCA 60 und der CLASS 40 waren bereits 15 Minuten vor uns gestartet. Wir in der Klasse IRC 4B (die Kleinen starten zuerst!) sollten jetzt als erste Gruppe der „normalen“ Schiffe starten. Anschließend alle 15 Minuten eine neue Gruppe und am Schluss die Maxis der IRC Z. Hier sind als berühmteste Vertreter der spätere „Linehonors“-Gewinner Rambler 88 und die an Nummer zwei platzierte Scallywag zu nennen.

Kurz vor dem Startsignal um 13.00 h wurde dann die Genua ausgerollt, die Segel wurden getrimmt und wir überfuhren regelkonform die Startlinie!

Ja – Das hatten wir schon einmal geschafft. Ich glaube, alle waren ganz froh, dass es in diesem Jahr einen atypischen Fastnet-Start gab. In den meisten Rennen zuvor wehte der typische SW-Wind, mit der Folge, dass die Yachten vom Start weg erst einmal mit dem ablaufenden Strom einige Stunden gegen den Wind aus dem Solent heraus kreuzen mussten. Man kann sich den Stress vorstellen, wenn fast 400 Schiffe das Gleiche vorhaben. Aber in diesem atypischen Jahr wehte der Wind aus SO, sodass wir tatsächlich auf einem Bug aus dem Solent heraussegeln konnten. Der Strom ging mit uns, wir waren recht schnell (ab Hurst-Castle > 9 kn SOG), langsam legte sich unsere Nervosität und wir konnten das einmalige Erlebnis genießen. Während wir Richtung der Needles am Ausgang des Solent segelten, wurden wir jetzt von den vielen großen Schiffen aus aller Herren Länder überholt. Langsam lichtete sich das Feld – wir fuhren jetzt nur noch UNSER Rennen.

 

Rückblick:

Wie sind wir überhaupt hierhergekommen? Wer von uns kam auf die verrückte Idee, mit unserem 45 Jahre alten Hanseaten an diesem „berühmtesten Yachtrennen der Nordhalbkugel“ an den Start zu gehen? Und wie ist es uns überhaupt gelungen, einen der begehrten Startplätze zu ergattern? Doch der Reihe nach.

Jedem von uns war das alle zwei Jahre stattfindende Rolex Fastnet Race natürlich seit Jahren bekannt, die letzten Ausgaben konnten wir jeweils live im Internet mitverfolgen und einigen war auch das berüchtigte Rennen von 1979 noch in schwacher Erinnerung. Jedenfalls hatten wir die entsprechenden Buchtitel zu diesem Thema bereits vor Jahren gelesen. Schaut man sich die alten Bilder aus dieser Zeit an, stellt man fest, dass die damals teilnehmenden Yachten allesamt eine große Ähnlichkeit mit unserem eigenen Schiff hatten. Es fanden sich typische IOR Rümpfe, Überhänge am Steven und Achtern, konventionelles Top-Rigg, usw. Das waren eben die Yachtbau-Eigenschaften der 70er Jahre. In irgendeinem holländischen Hafen lagen wir einmal neben einem älteren Engländer, der meinte beim Anblick der Gymir nur „…looks like going to Fastnet 79“…

Keiner weiß noch genau wie und wann, es muss allerdings schon zu sehr später Stunde in unserer Stammkneipe in der Kölner Südstadt gewesen sein, wahrscheinlich im Herbst 2017, kurz nach der letzten Ausgabe des Rennens, als jemand die Idee aufbrachte, bei diesem Rennen zu starten.

Wie das so ist mit solchen verrückten Ideen, man fängt an sich mit dem Thema zu beschäftigen, erst wenig, dann immer mehr. Man liest über die Teilnahme-Bedingungen, die Voraussetzungen bei Schiff und Crew, den Zeitplan, das Budget, usw. Irgendwann wurde der Plan dann immer konkreter. Die Frauen und Familien wurde mit „ins Boot geholt“, die Jahresplanungen 2018 (teilweise) und 2019 (vollständig) wurden auf das Rennen abgestimmt. Die Sicherheitsausrüstung wurde komplettiert, Trainingskurse wurden absolviert. Qualifikationsregatten (Rund Skagen, Vurscheepen, North Sea Race) wurden gesegelt. Und das alles OHNE bereits einen Startplatz zu haben.

Die knapp 400 Startplätze werden jedes Mal anhand eines Onlineanmeldeverfahrens Mitte Januar des Jahres vergeben. In der Regel sind alle Plätze 4 bis maximal 5 Minuten nach Eröffnung des Verfahrens vergeben. Alain hatte nun an diesem Montag im Januar 2019 um 12.00 h UTC die verantwortungsvolle Aufgabe, die vorher vorbereitete Anmeldung online zu aktivieren. Und tatsächlich war er so schnell damit, dass wir in der Tat einen Startplatz angeboten bekamen. Das war natürlich ein Grund zu feiern, denn endlich konnte die weitere Jahresplanung konkret abgestimmt werden und wir wären dabei, beim Rolex Fastnet Race 2019!

03.08.2019, 15.30 h BST:

Es war ein toller Moment, mit 8-9 kn Fahrt die Needles zu passieren. Früher als angenommen sind wir somit aus dem Solent herausgesegelt. Dadurch war die Möglichkeit gegeben, das erste sogenannte „Tidal Gate“ St. Albans Head in ca. 16 sm Entfernung noch mit dem mitlaufenden Strom zu passieren. Der Anteil des Rennens an der englischen Südküste entlang ist sehr von den starken Gezeitenströmen abhängig. Man spricht hier von bestimmten Zeitfenstern, die man nutzen muss, um an bestimmten Kaps vorbeizukommen. Diese wichtigen Punkte sind von Ost nach West: St. Albans Head, Portland Bill, Start Point, Lizard Point und Lands End. Das bekannteste dieser Kaps ist sicherlich „The Bill of Portland“. Hier laufen zu bestimmten Zeiten bis zu 8 Knoten Strom entweder mit einem oder gegen einen. Wer innerhalb des Tidal Gates passieren kann, hält sich nahe am Kap, da dort der Strom am stärksten mitläuft. Wer das Gate nicht schafft, hält dann am besten entsprechenden Abstand (z.T. 5-10 sm), da dort der Gegenstrom dann nicht mehr so stark ist wie in Landnähe.

 

Rückblick:

Ist er es oder nicht? Doch, ich bin mir ganz sicher! Drei Tage vor dem Start sind wir im Anchor Inn, einem altehrwürdigen Pub in Cowes gelandet und haben gerade die zweite Runde Pints geordert und befinden uns dabei in unmittelbarer Nähe zu Armel Le Cléac’h, dem letzten Gewinner der Vendee Globe, der lässig mit einigen anderen Profis an der Theke steht. Dieser hat auch schon mindestens sein 2. Pint in Händen. Am 19. Januar 2017 gewann er bei der 8. Austragung der Vendée Globe (2016–2017) den Titel in einer Rekordzeit von 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden. Will sagen, er ist in dieser Zeit alleine mit seinem IMOCA Nonstop um die Welt gesegelt. Wir sind uns einig, dass wir uns in allerbester Gesellschaft befinden und bestellen noch eine Runde.

03.08.2019, 17.45 h BST:

Das erste Gate konnten wir somit ohne Probleme schaffen und so standen wir auch um kurz vor 18.00 h genau südlich von St. Albans Head. Seit den Needles war die Geschwindigkeit nicht einmal unter 8 kn gefallen. Tolles Segeln, tolles Wetter, beste Stimmung bei der Crew. So könnte es weitergehen.

Das nächste Gate „Portland Bill“ war nicht sicher rechtzeitig zu schaffen, es bestand die Gefahr, dass der Strom dort vor unserer Ankunft gekentert sein würde mit fatalen Folgen. Wir hielten somit entsprechenden Abstand und fuhren, wie viele andere auch, weit Offshore in Richtung des VTG Casquets um dann um 20.55 h genau südlich von Portland Bill zu stehen. Hier kenterte der Strom und die Fahrt fiel auf unter 5 kn. Wären wir näher am Bill gewesen, müssten wir vermutlich ankern, um nicht rückwärts zu segeln. Nun galt es, nach dem anfänglichen Geschwindigkeitsrausch auch diese erste Phase des Gegenstroms durchzustehen. Mit unserem vorher festgelegten rotierendem Wachsystem segelten wir in die erste Nacht.

 

Rückblick:

Alle drei Mitglieder unserer Crew sind nordseeerfahren und befinden sich im Besitz des Seeschifferscheines, Gezeitennavigation war uns somit nicht unbekannt. An langen Vorbereitungsabenden im Frühjahr 2019 haben wir dann durch Studium der einschlägigen Regattaberichterstattung die Bedeutung der Tidal Gates verstanden. Die Beachtung dieser Gates kann eine rennentscheidende Bedeutung haben solange wie das Rennen an der englischen Südküste entlangführt. Auch haben wir gelernt, dass selbst im Fastnet Race bei ungünstigen Bedingungen wie Flaute und Gegenstrom manchmal für einige Stunden geankert wird, um die Position zu halten und nicht etwa zurück getrieben zu werden. In Vorbereitung des Rennens wurden die entsprechenden Tidal Gates für die Renntage berechnet und im Logbuch vermerkt. Auch das Ankergeschirr war klar, wenn auch ohne elektrische Windenfunktion.

 

04.08.2019, 00.45 h BST:

Jetzt wurde es zäh. Der Wind schlief immer weiter ein, unsere Fahrt ging erst unter 4 kn, dann manchmal sogar unter 3 kn. Im AIS konnten wir sehen, dass das Feld vor uns komplett zum Stehen gekommen war, während wir noch eine geringe Restfahrt machten. Wir holten somit scheinbar auf, uns war aber klar, dass auch wir in die Flaute reinfahren würden. So kam es dann auch! Mehrere Stunden standen wir praktisch auf der Stelle, bevor dann leichte Winde erneut aufkamen. Die ruhige See war allerdings auch ideal, um mal einige Stunden Schlaf zu finden während der jeweiligen Freiwachen.

In den frühen Morgenstunden dann erneut ein kompletter Stillstand, während das weiter westlich gelegene Hauptfeld unserer Klasse sich bereits wieder langsam weiterbewegte.

 

Rückblick:

Mit anhaltenden Flauten hatten wir ja schon unsere Erfahrungen gemacht, z.B. bei der Flautenregatta Rund Skagen 2018 (s. entsprechender Bericht). Wir hatten uns im Vorfeld vorgenommen, nicht nervös zu werden und ganz alleine unser Rennen zu fahren. Zeit für taktische Besprechungen hatten wir in der Woche vor dem Start. Wir waren nach Brighton angereist, hatten die Gymir dann bei Starkwind nach Portsmouth gesegelt und am kommenden Tag dann das kurze Stück bis nach Cowes. Dort hatten wir für die letzten 5 Tage vor dem Start einen Liegeplatz in der Shepards Wharf Marina direkt im Zentrum des Ortes reserviert. Es war schön, den ganzen Trubel in Cowes zu beobachten. Immer mehr Schiffe kamen in den Hafen und es wurde richtig voll in den nächsten Tagen. Bei uns an Bord wurden die letzten Einkäufe getätigt und zwischendurch immer wieder ausgeruht. Die Wachpläne wurden besprochen und die Wetterprognosen studiert. Mittwochs ging es mit vielen anderen zum letzten Training hinaus in den Solent. Wir lokalisierten die imaginäre Startlinie, versuchten uns die verschiedenen Tonnen einzuprägen, kreuzten gegen den Wind Richtung Westausgang des Solent (so wie es normalerweise beim Fastnet nach dem Start abläuft), besprachen, wann wir reffen würden in der Höhe von Hurst Castle (hier kommt es normalerweise zu einer deutlichen Windzunahme an der Engstelle) und beobachteten einfach unsere zahlreichen Gegner, die ebenfalls trainierten.

Abends machten wir die Pubs unsicher (s.o.). Ein Highlight war das festliche Galadinner im Clubhaus des Royal Ocean Racing Club am Donnerstag, an dem wir natürlich entsprechend gestylt teilnahmen. Anschließend fand dann die große Regattaparty mit Live-Band und Tanz statt. Die offizielle Skipperbesprechung und das Wetterbriefing wurden selbstverständlich besucht. Die Möglichkeit von viel Regen und Starkwind für die zweite Hälfte der Wettfahrt wurde hier erstmals thematisiert.

 

04.08.2019, 14.00 h BST:

Im weiteren Verlauf des Vormittags kam dann Westwind auf. Das Feld begann zu kreuzen. Wir wählten einen nördlichen Weg um dann gegen 16.00 h genau innerhalb des Tidal Gates südlich der Landmarke „Start Point“ mit mitlaufendem Strom mit ca. 6 kn Fahrt streng nach Westen, später etwas nach NW in die Bucht von Plymouth zu segeln. Hier begann unsere zweite Nacht auf See.

 

05.08.2019, 08.00 h BST:

Die ganze Nacht haben wir damit verbracht, die große Bucht von Plymouth Richtung „Lizard Point“ (nächste Landmarke und Tidal Gate) zu segeln. Der Wind hatte deutlich zugenommen, z.T. hatten wir bereits Böen um 6-7 Bft aus SW. Wir fuhren mit gerefften Segeln durch die Nacht und lieferten uns ein kleines privates Rennen mit der Grand Slam, welches wir zu unseren Gunsten entscheiden konnten. Um 08.00 h standen wir nach etlichen Wenden dann genau südlich „Lizard Point“ (das letzte Tidal Gate vor Lands End).

In den frühen Morgenstunden im westlichen Teil der großen Bucht, in der Nähe von Falmouth hatten wir ganz gutes Mobilfunknetz und wir konnten unsere Wetterdaten aktualisieren. Diese sahen ganz und gar nicht gut aus. Im AIS und auch im Tracker konnten wir feststellen, dass vielleicht aus diesem Grund bereits 7-8 Schiffe unserer Gruppe (IRC4) das Rennen beendeten und verschiedene Häfen ansteuerten. Weit im Westen braute sich ein Sturmtief zusammen, welches aller Voraussicht nach mit seiner östlichen Front (S-SW-Winde) genau zu dem Zeitpunkt auf den Regattakurs treffen würde, wenn wir auf dem Rückweg vom Fastnet Rock nach England sein würden. Es war von 8-9 Bft die Rede, auch eine entsprechende Welle von 5-6 Metern wurde vorausgesagt. Für den Hinweg zum Rock wären die Bedingungen bereits ruppig, aber machbar gewesen (6-7 Bft, 3-4 Meter Welle). Das mussten wir zunächst einmal verdauen.

Wir segelten zunächst weiter Richtung Lands End, der Wind passte diesmal ganz gut, sodass wir gut Strecke machen konnten. Wir wollten nördlich des VTG Lands End durchsegeln und dann direkten Kurs absetzen auf den Rock.

 

05.08.2019, 13.45 h BST:

Gegen Mittag hatten wir dann Lands End passiert und erneute Wetterdaten bekommen. Die oben skizzierte Situation schien sich zu bestätigen. Nach einigen Stunden des Überlegens und des Abwägens wurde dann schweren Herzens der Entschluss getroffen, das Rennen unter diesen Bedingungen aufzugeben. Man kann erahnen, wie schwer uns diese Entscheidung gefallen ist nach fast zwei Jahren der Vorbereitung. Ungleich vieler englischer oder französischer Segler, die fast bei jedem Fastnet am Start stehen, war unser Start vermutlich ein Einmal-Im-Leben-Ereignis. Umso schwerer fiel uns diese Entscheidung. Wir haben alle möglichen Alternativen diskutiert, beispielsweise wurde überlegt, den Weg bis zum Fastnet Rock zu segeln, dann in einem irischen Hafen vor Anker den Durchzug des Sturmtiefs abzuwarten und dann das Rennen fortzusetzen. Das wäre auch durchaus regelkonform gewesen, denn ein Time Limit gab es ja nicht. Doch wie so oft hatten wir für einen solchen Plan nicht genügend Zeit eingeplant und es blieben immer noch die Unsicherheiten bezüglich der Zugrichtung und Geschwindigkeit des Sturmtiefs. Also Aufgabe! Schweren Herzens wendeten das Schiff um ca. 13.45 h, um nach Plymouth ins Ziel zu segeln.

 

Intermezzo:

Wo waren die anderen Schiffe zum Zeitpunkt unserer Aufgabe? Die superschnellen Trimarane waren nicht nur bereits über die Ziellinie gesegelt, sondern zum Teil auch schon wieder zurück nach Frankreich gesegelt. Das Rennen um die Linehonors der Maxis war bereits auch schon entschieden. Hier hatte Rambler 88 ca. 30 Minuten vor Scallywag die Ziellinie überquert. Ein Teil der 26 Imoca 60 war ebenfalls schon im Ziel, Boris Hermann mit Malizia stand ca. 30 sm vor der Linie.

Für alle diese Schiffe und auch für den größten Teil der übrigen Flotte herrschten ideale, vielleicht etwas ruppige Wetterbedingungen, sie fuhren am Wind Richtung Fastnet Rock und dann mit Raumschotskurs zurück. Wieder einmal kam die alte Seefahrerweisheit zum Tragen: “Die letzten beißen die Seehunde“. Die kleinen, langsamen Schiffe würden möglicherweise auf dem Rückweg vom Rock auf das vorhergesagte Wetter treffen. So waren dann auch die zahlreichen Aufgaben in unserer Klasse zu erklären. Bewundernswert finde ich die Leistung der Breezee, einer 39er Oceanis. Sie haben sich auf dem Rückweg vom Rock, bevor das Sturmtief sie traf, auf den Scilly Islands versteckt, dort vor Ort geankert, den Sturm abgewettert und sind anschließend dann erst einige Tage später am Montag, den 12.8.19 durch das Ziel gesegelt und gewertet worden. An diesem Tag war unsereins schon wieder in Köln auf der Arbeit aktiv.

06.08.2019, 04.15 h BST:

Der ca. 80 sm lange Weg nach Plymouth ließ sich gut segeln, die Maschine wurde nicht gebraucht. Wir hatten zwar aufgegeben, doch hielten wir immerhin den Regattamodus weiter bei, sodass wir gegen 4.15 h BST über die offizielle Ziellinie in Plymouth segeln konnten. Erst danach wurden die Segel geborgen und die Maschine gestartet. Die perfekte Regatta-Organisation vor Ort war beeindruckend. Wir wurden dort über Funk in die entsprechende Marina geleitet und dort dann an einen Liegeplatz begleitet, der ganz unweit des Regattazentrums gelegen war. Immerhin befanden wir uns nun mitten im Trubel. Hier liefen ununterbrochen tags und nachts immer wieder Schiffe ein, die gerade das Rennen beendet hatten. Fast alle Crews bewegten sich dann unmittelbar nach dem Festmachen in das 24 Stunden durchgehend geöffnete „Partyzelt“ im Race Village und feierten ihr Rennen. Auch wir waren trotz unseres DNF ein Teil dieser Gemeinschaft und genossen das einmalige Erlebnis.

Beim Aufklarieren der Gymir stellten wir erschrocken fest, dass unsere Genuareffleine an mehreren Stellen bereits deutliche Schamfilschäden aufwies. Wir hatten nach wiederholtem Bruch des Führungsarmes der Furlex eine Umlenkrolle am Bugkorb angebracht. Das System funktionierte soweit ganz gut, allerdings war die Rolle in der Drehung begrenzt und dadurch lief scheinbar die Reffleine im gerefften, angespannten Zustand nicht ganz reibungsfrei durch diese Umlenkung. An der Reffleine war es dann durch die ständigen Bewegungen des Vorstags zum Schamfilen gekommen und zwar an den Stellen, an denen die Leine beim Reffen der Genua fixiert wurde. Wir stellten uns vor, was hätte passieren können, wenn wir mit stark gereffter Genua bei Starkwind zum Fastnet Rock weitergesegelt wären. So wie die Leine jetzt aussah, wäre sie mit Sicherheit im weiteren Verlauf des Rennens gebrochen, es sei denn wir hätten (das hatten wir ursprünglich vorgehabt) die Arbeitsfock am zweiten Vorstag aufgezogen und die Genua ganz weggenommen.

Letztlich mussten wir uns nun glücklich schätzen, dass nichts Schlimmeres passiert ist. So hatte unsere Aufgabe doch noch eine gute Seite offenbart!

In der Marina wurde gleich ein neuer, besser geeigneter, beweglicher Block und eine neue Reffleine geordert. Die Reparatur wurde am gleichen Nachmittag ausgeführt, denn wir wollten ja noch vor dem Eintreffen des Sturmtiefs Plymouth wieder verlassen mit dem Ziel Cherbourg. Wir verbrachten einen letzten Abend im Race Village, genossen die Stimmung und nahmen am regen Austausch mit den Crews anderer Schiffe teil.

 

07.08.2019, Frühmorgens:

Nach einer kurzen Nacht verließen wir Plymouth und verabschiedeten uns nun endgültig vom Fastnet Race. Der Gezeitenstrom war günstig und wir konnten die ca. 110 sm nach Cherbourg fast auf direktem Kurs absegeln. Erstmals kam nun auch wieder unser Windpilot zum Einsatz (die Nutzung war ja während des Rennens verboten gewesen). Am Donnerstagmorgen gegen 04.00 h MESZ machten wir am Gästesteg in der Cherbourg-Marina fest. Nach ein paar Stunden Schlaf wurde uns dann der vorher reservierte Liegeplatz zugewiesen. Es folgte das Aufklarieren und Reinigen des Schiffes, anschließend Landgang mit Moules frites.

 

09.08.2019, mittags:

Am Freitag, den 9.8.2019 saßen wir genau zu dem Zeitpunkt im Zug von Cherbourg über Paris nach Köln, als das Sturmtief bei Plymouth durchzog.

Vergleichbare Schiffe wie unseres (z.B. Grand Slam) waren am frühen Morgen des 7.8. am Fastnet Rock und am Nachmittag des 9.8. ins Ziel gekommen. Die Messwerte zeigten für den Nachmittag des 9.8. einen Mittelwind von 9 Bft mit Böen von 10 Bft am Prawle Point, östlich von Plymouth an. Am Folgetag wurde ein Mittelwind von 10 Bft mit Böen von 11 Bft dort gemessen.

 

Hätte, hätte, hätte….

Gesetzt der Fall, wir hätten nicht aufgegeben, wären weitergesegelt, wären, wie in der zweiten Nacht bereits bewiesen, schneller gesegelt als die Grand Slam und unsere Genuareffleine wäre dabei nicht gerissen, das Sturmtief hätte seine Richtung und Geschwindigkeit nicht geändert, und und und…

…wären wir wahrscheinlich gegen Mittag, des 9.8. durchs Ziel gesegelt. Bei diesem Scenario wäre das gerade noch rechtzeitig vor dem Sturmtief gewesen. Wir hätten dann allerdings Plymouth auch nicht vor dem 11.8. oder eher 12.8. Richtung Cherbourg verlassen können, mit der Folge, dass wir nicht vor dem 15.8. wieder in Köln auf der Arbeit hätten sein können. Unser Zeitplan war also wieder einmal zu eng bemessen. Richtigerweise hatten wir diesmal die Woche vor dem Start bereits einkalkuliert. Im Nachhinein betrachtet, hätten wir auch noch die Woche nach der Regatta für das Event einplanen sollen. Das hätte uns viel mehr Möglichkeiten eingeräumt wie Abwettern, Ankern, Warten, etc.

Hätte, hätte, hätte….

 

Fazit: Teilnahme Rolex Fastnet Race 2019:

Trotz DNF ein einmaliges, bleibendes Erlebnis in jeder Hinsicht. Es war genau die richtige Entscheidung, bereits einige Tage vor dem Start in Cowes gewesen zu sein. Alleine schon die dortige Atmosphäre gemeinsam mit einigen Tausend anderer Segler zu erleben, war die Reise wert. Dann Adrenalin pur bei Start und mitten drin im Gewusel hunderter Schiffe. Das anspruchsvolle Segeln zwischen den Tidal Gates ist eine Herausforderung für sich und hat uns sehr gefallen. Die Aufgabe aus Sicherheitsaspekten ist natürlich ein Wermutstropfen, aus damaliger Sicht war die Entscheidung jedoch vernünftig und nachvollziehbar. Glücklicherweise sind wir noch zum Zielort Plymouth und nicht direkt weiter nach Frankreich gesegelt, so konnten wir erneut die außergewöhnliche Stimmung im Race Village erleben.

Es war ein tolles, einmaliges Erlebnis, dabei gewesen zu sein. Unser DNF spielte dort dann schon (fast) keine Rolle mehr.


20. bis 23. Juni 2019

Überführung von Scheveningen (NL) über Calais (FR) nach Brighton (UK). Autor: E.K.

 

Als wir sonntagsmittags, jeder mit einem vollen Seesack beladen, durch die überhitzten und übervollen Londoner Metrogänge hetzten, dachte ich kurz an unseren ursprünglichen Plan.

 

Unser eigentlicher Plan war es, die GYMIR von Scheveningen nach Cherbourg in die Normandie zu verlegen. Von dort sind es nur ca. 70-80 sm bis nach Cowes, dem legendären Startort des Fastnet Race. Wir hatten ursprünglich vor, einige Tage vor dem Start am 3. August von Cherbourg dorthin zu segeln. Am Ende der Regatta sollte es anschließend für den Rest der Saison wieder zurück nach Cherbourg gehen und im Jahr darauf dann von dort in die Südbretagne.

 

Vieles sprach für Cherbourg als Ausgangshafen, vor allem die bessere Erreichbarkeit aus Köln und die Tatsache, dass die Liegegebühren preislich niedriger sind als in den englischen Marinas. Insgesamt ein ausgeklügelter Plan. Wie sooft beim Segeln kommt es dann doch ganz anders. So auch diesmal.

 

Am dem o.g. langem Wochenende sollte es zu Dritt ab Scheveningen losgehen. Die direkte Strecke beträgt ca. 270 sm. Dirk, Reinhard und ich wollten mehr oder weniger „durchsegeln“. Der Rücktransport aus Cherbourg war auch bereits organisiert. Somit frühes Ablegen in Scheveningen. Leider zeigte sich die Windrichtung nicht besonders günstig. Es wehte mit 3-5 Bft aus SW, also genau von vorne. Somit stand uns ein ruppiges Am-Wind-Segeln bevor. Da sich zwischenzeitlich bereits wieder eine entsprechende gegenläufige Welle aufgebaut hatte, war auch ein Fahren des direkten Kurses unter Motor keine Option. Also fuhren wir entsprechende Kreuzkurse mit langen Schlägen. Die Einfahrt der Großschifffahrt nach Rotterdam zu queren machte keine Schwierigkeiten. So arbeiteten wir uns munter weiter entlang der holländischen und belgischen Küste. Aufgrund der wechselnden Gezeitenströme fuhren wir mal bessere oder mal schlechtere Kurse. Aber wir kamen langsam voran. An Schlaf war bei der Bolzerei aber nicht wirklich zu denken. Es wurde deswegen beschlossen, freitags spätabends den Hafen von Calais anzulaufen, um dort einige Stunden an einer Mooringtonne festzumachen und zu schlafen. Die Wetterprognose für Samstag und Sonntag wurde besser, allerdings mussten wir fast den ganzen Sonntag für die Rückfahrt von Cherbourg nach Köln einplanen. Die restliche Strecke nach Cherbourg von ca. 155 sm war somit bei den vorhergesagten leichten Winden nicht mehr zu schaffen an diesem Wochenende. Es wurde dann über eine mögliche Planänderung diskutiert. Alain hat dann von Köln aus, alle möglichen französischen Häfen auf dem Weg in die Normandie abtelefoniert, doch nirgendwo konnten wir die GYMIR bis zum Fastnetstart im August unterbringen. Freie Plätze gab es lediglich für Tageslieger. Weitere Alternativen auf der englischen Seite des Kanals wurden diskutiert. Schließlich fiel der Entschluss, die knappen 90 sm bis nach Brighton zu segeln. Es gibt dort eine sehr große Marina und sehr gute Zugverbindungen nach London. Außerdem beträgt die Reststrecke von dort aus nach Cowes nur ca. 45 sm.

Gesagt – getan.

Herrliches sonniges Segelwetter, mit Vollzeug am Wind den Kanal vorschriftsmäßig gequert bis in die englische Inshore Traffic Zone. Hier kamen wir dann mittags an, wir konnten abfallen, setzten den Spi und rauschten mit hoher Geschwindigkeit die englische Küste entlang. Die zeitweise gegen uns setzende Strömung fiel bei diesen Geschwindigkeiten gar nicht mehr so sehr ins Gewicht. Wir konnten so fast 45 sm in gerader Linie unter Spi Richtung Ziel segeln. Abends (noch war es einigermaßen hell) mussten wir das Kap Beachy Head passieren, dann anluven und die letzten 15 sm nach Brighton sollten schnell weggesegelt werden. In der Crew machte sich die Vorfreude auf einen Pub-Besuch als Abschluss unseres Törns breit. Natürlich weiß man aus Erfahrung und auch aus der Theorie, dass die Winde in der Nähe von Kaps zunehmen und auch drehen. Kein Thema. Es lief aber so gut, dass wir den Spi einfach nur ein paar Minuten zu lange stehen ließen. Schon hatte uns der berüchtigte Kapeffekt erwischt. Wir mussten abfallen und den Spi dann bei kräftigen Böen bergen. Dabei hat er sich dann mal schön mit verschiedenen Anteilen mehrmals um die Rollgenua gewickelt, inklusive Bergeleine. Es hat dann mehr als eine Stunde zu zweit auf dem Vorschiff gekostet, bis wir das Segel wieder ohne Schaden im Sack hatten. In der Zeit sind wir dann auch einige Meilen nach Lee gesegelt, alleine um aus der Zone der Böen herauszukommen. Mittlerweile war es dunkel geworden und die Vorschiffscrew durchnässt. Der Pub-Besuch war zeitlich nicht mehr zu schaffen. Die letzten Meilen bis nach Brighton konnten dann wieder regulär gesegelt werden, wir kamen dort in der Marina allerdings erst gegen Mitternacht an und laschten uns zunächst am Gaststeg fest für die kurze Nacht. Am Sonntagmorgen frühes Wecken. Wir mussten uns noch anmelden und anschließend die Rückfahrt nach Köln organisieren. Zunächst wurde allerdings der Spi auf dem Steg getrocknet. Glücklicherweise hatte er keinen Schaden davongetragen. Das Segel war unsere Leichtwind-Raumschot-Waffe für das Fastnet-Race. Der Liegeplatz bis Ende Juli wurde gebucht, die GYMIR wurde verlegt und aufklariert.

 

Es war ein warmer und sonniger Sonntag und es stand noch die Rückfahrt nach Köln an. Überraschenderweise waren keine Flüge zu akzeptablen Preisen mehr zu bekommen, alles ausgebucht! Die Rückfahrt wurde somit zum eigenen Abenteuer.

 

Kurz zusammengefasst:

Taxi: Marina - Bahnhof Brighton

Zug: Brighton - London

Metro: London - Victoria-Station

Eurostar: London Victoria - Brüssel (nur noch Premiumplätze frei, 3-Gängemenue, Sekt etc. inkl.)

Thalys: Brüssel - Aachen (nur noch Premiumplätze frei, 3-Gängemenue, Sekt etc. inkl.)

PKW: Aachen - Köln; Abholung der Crew durch Michael

 

Am späteren Abend trafen wir über-satt und ziemlich erschöpft Zuhause in Köln ein. Man kann sich leicht vorstellen, wie es sich angefühlt hat, als am kommenden Morgen um 0600 h der Wecker ging…


Mai / Juni 2019

 

Vuurschepen/North Sea Race, Autor: EK

 

Für eine Teilnahme am Rolex Fastnet Race sind sehr viele Vorbedingungen zu erfüllen. Eine davon ist der Nachweis der Segel/Regattaerfahrung von Schiff und Crew.

 

Nachdem wir unseren Startplatz im Januar bekommen hatten, konnten wir zahlreiche Nachweise einreichen. Man hatte uns dann per Email informiert, dass unsere Gesamtsegelerfahrung der letzten Jahre für eine Teilnahme am Fastnet ausreichend sein würde, es wurde aber dringend dazu geraten, mindestens eine RORC-Regatta vor dem Fastnet zu absolvieren, um dann gleich auch den erforderlichen Sicherheitscheck zu absolvieren.

 

Die meisten der RORC Regatten finden im englischen Kanal statt, einzig das „North Sea Race“ war für uns zeitlich einigermaßen machbar.

 

Eigentlich handelt es dabei sich um zwei Regatten. Die erste ist das sogenannte Vuurschepen-Race (Feuerschiffrennen), welches von Scheveningen nach Harwich (ca. 110 sm) führt und das zweite ist die Rückregatta von Harwich nach Scheveningen, das eigentliche North Sea Race des RORC über 180 sm. Dirk und ich haben dann für beide Regatten in der ORC-Double-Handed Klasse gemeldet.

 

Wie es immer so ist, wurde die Zeit für die Vorbereitung mal wieder knapp, zumal eine im Jahr zuvor neu gekaufte Funkantenne defekt war und wir deswegen ab und an Probleme mit dem AIS-Signal festgestellt hatten. Ein funktionierendes AIS Signal ist aber für alle genannten Regatten Vorschrift. Daran, dass die neue Antenne defekt sein könnte, haben wir natürlich als letztes gedacht. Erst wurden am Wochenende vor der ersten Regatta alle Geräte und Kabel inspiziert, demontiert, Lötstellen kontrolliert und gemessen (wiederholtes Entern des Masttops war unumgänglich). Als wir dann feststellten, dass es keine Sende-Probleme mit der Notantenne gab und auch das Kabel und die Lötstellen nicht defekt waren, wurde die Masttop-Antenne demontiert. Siehe da, es zeigte sich beim Messvorgang, dass diese defekt war. So musste schleunigst eine neue Antenne her, die glücklicherweise im Yachtshop in Muiderzand auch am Samstag zu bekommen war. Die Installation, Anpassung, Fixierung, Testlauf und das Schließen der Baustelle – Wie sooft Small Jobs!

 

Als dann alles wieder lief, gleich abgelegt, an Amsterdam vorbei durch den Nordzee-Kanal bis IJmuiden, dann weiter nach Scheveningen. Schließlich hatten wir am Sonntagvormittag einen Termin zum Safety Check. Wir sind dort dann ganz gut durchgekommen, die Seetüchtigkeit des Hanseaten wurde einmal mehr gelobt. Allerdings empfahl man uns, zusätzliche Einpick-Punkte im Cockpit zu installieren. Die vorhandene Lösung wurde nicht akzeptiert. Auch diesen „Small Job“ haben wir dann am nächsten Tag erledigt. Auch musste noch ein Cockpit-Messer gekauft werden. Interessanterweise ging es unseren Regattagegnern scheinbar auch nicht anders, denn wir stellten anderentags fest, dass bis auf eines, alle geeigneten „Cockpitmesser“ in ganz Scheveningen ausverkauft waren.

 

Der Start sollte am Dienstagabend um 19.00 h erfolgen. Also hatten wir nach Erledigung scheinbar aller Jobs endlich mal Zeit, unsere Konkurrenten, insbesondere in der Klasse ORC-4 bzw. ORC-DH in Augenschein zu nehmen. Alles „echte“ Regattaschiffe, die auch noch im Laufe der Vorbereitungen „entkernt“ wurden, um zusätzlich Gewicht einzusparen. Wir hingegen hatten sogar noch mal richtig vollgetankt! Man weiß ja nie. Insbesondere die Erfahrung mit der „Flautenregatta“ Rund Skagen aus dem Vorjahr hatte scheinbar doch einen bleibenden Eindruck bei der aktuellen Crew hinterlassen.

 

Das Ziel der Regatta wurde unsererseits also nach Sichtung der „Gegner“ auf das schlichte „Ankommen“ reduziert. Auch das sollte noch schwieriger werden, als zunächst gedacht. Davon später mehr.

 

Zwischenzeitig hatten wir auch die deutsche Crew eines „Begleitschiffes“ kennengelernt. Eine größere Stahlyacht, deren Aufgabe darin bestand, einen größeren Vorrat an frischen holländischen Matjes zum dortigen Verzehr nach dem Zieleinlauf nach Harwich zu transportieren.

 

Am Starttag Dienstag haben wir dann noch etwas eingekauft und ansonsten „cool“ in der Sonne gelegen während auf allen Schiffen um uns herum noch „gewerkelt“ wurde. Wir fühlten uns bereit für große Taten, der Nachmittag verging, der Start um 19.00 h rückte immer näher. Etwa eine Stunde bevor wir ablegen mussten, haben wir dann eher zufällig festgestellt, dass die im Baum laufenden Reffleinen für das erste bzw. zweite Reff sich an der Baumnock selbst „bekniffen“, d.h. wenn das erste Reff eingebunden war, ließ sich das zweite nicht mehr bedienen! Katastrophe! Eine der Leinen war beim Segelanschlagen nach dem Winterlager offensichtlich falsch eingeschoren worden. Wir hatten das zweite Reff seitdem nie gebraucht, deswegen war es nicht aufgefallen. Jetzt in aller Eile, schwitzend-hektisch in der Sonne die Leine mit Führungstau etc. neu verlegt – während jetzt alle anderen Crews um uns herum mit ihren Werkeleien fertig waren und ihrerseits bereits im coolen Regatta-Outfit ablegten. Etwas hinter unserem Zeitplan hinterher, verließen wir dann doch noch endlich den Hafen, um Richtung Startschiff zu fahren.

 

Der Start war dann ein Abenteuer für sich!

 

Unsere Gruppe ORC-4 sollte als erstes starten. Es herrschten ca. 4-5 Bft und eine deutliche Welle. Das Startschiff war allerdings ca. 1,5 sm im LUV entfernt. Nach dem Startsignal muss man die Linie innerhalb von 9 Minuten übersegeln, ansonsten drohte DNS („Did not start“). Da wir jetzt spät dran waren, mussten wir also mit aller Maschinenkraft Richtung Start motoren. Nur 5 Minuten vor dem Start wurde dann per Signal bekannt gegeben, welche Tonne als erste auf welcher Seite gerundet werden musste. Es gab hier 4-5 Möglichkeiten, entsprechend wurde dann auch die Startlinie verlegt. Erst nach dieser variablen ersten Tonne galt es, den festgelegten Regattakurs abzusegeln. Wir sind dann bereits etwas verspätet am Startschiff angekommen und dann in der letzten Minute (von 9) über die Startlinie gesegelt. Auch hatten wir irgendwie mitbekommen, welches unsere erste Tonne sein würde und wie wir die runden mussten. Diese Tonne lag natürlich genau im Luv der Startlinie und zwar ca. 1,8 sm entfernt. Als wir ohne Disqualifikation über die Startlinie segelten, machte sich bei der Crew eine gewisse Erleichterung breit. Das hatten wir schon mal nicht „verbockt“! Wir wählten etwas längere Schläge, um aus dem Getümmel der anderen Schiffe raus zu sein, rundeten nach ein paar Wenden dann die angesagte Tonne und gingen anschließend auf Kurs.

 

Bis zum späteren Abend mussten noch Kreuzkurse gesegelt werden, anschließend konnten wir Abfallen und dann sollten wir zwischen zwei VTGs hindurch Richtung England segeln. In der Nacht schlief dann der Wind vollkommen ein und wir trieben über etliche Stunden lediglich mit der Strömung. In einer Situation zeigte der Bug nach Osten, trotzdem war der Kurs über Grund 260 Grad. D.h. wir bewegten uns mit dem Heck voraus nur durch den Strom nach Westen. Eigentümliche Situation.

 

Diese Flaute hatten wir dann doch ganz gut abgewettert (nach den Erfahrungen von Rund Skagen), wir wurden nicht nervös, blieben gelassen und am Morgen setzte dann erneut erst leichterer dann mäßiger SW-Wind ein. Alle anderen Schiffe hatten natürlich auch die Flaute zu überstehen, doch die waren allesamt bereits deutlich voraus. Jetzt konnten wir ganz gut und flott segeln, im Verlauf des Tages nahm der Wind jedoch deutlich und immer mehr zu. Zunächst wurde das erste Reff gesteckt, später die Genua reduziert. Gegen Abend kam das zweite Reff an die Reihe (glücklicherweise hatten wir das noch repariert!), die Genua wurde nur noch ca. 1/3 gefahren. Bei 7 Bft und in Böen mehr kam auch der Traveller nach ganz Lee. Trotzdem wurden wir (mittlerweile in vollem Ölzeug) immer wieder geduscht. Es kam viel Wasser über Deck und auch stieg ab und an eine Welle fast ins Cockpit. Anstrengendes Segeln zu zweit. Langsam wurde es dunkel. Schon England „in Sicht“ (die Sicht war mittlerweile deutlich vermindert durch den Regen) mussten wir die Tonne „Shipwash N“ an backbord liegen lassen. Hier liegen auch einige gefährliche Flachs, was den Wellengang noch verschlimmerte.

 

Ab der Rundung hieß es Kurs S bei mittlerweile Südwind der Stärke 7-8, also genau gegenan bis zur Einfahrt nach Harwich. Dabei mussten noch etliche Tonnen auf der richtigen Seite gerundet werden, auch sollte die Großschifffahrt beachtet werden, es waren einige große Kähne hier unterwegs.

 

Alle unsere Konkurrenten waren mittlerweile im Ziel, wahlweise bereits auch in der Hafenkneipe. Sie hatten optimales Segelwetter, denn sie kamen alle vor der Tiefdruckfront in England an, die uns nun zu schaffen machte. Wir hatten also noch etliche Wenden zu fahren, unser Bord-Notebook am Kartentisch musste vor Seewasser in Sicherheit gebracht werden, das alternativ vorhandene Tablet ließ sich mit nassen Fingern nicht richtig bedienen, was die ganze Sache auch nicht einfacher machte. Erschöpft und durchnässt gingen wir um kurz nach 22.00 h über die Ziellinie. Sollte das schon mal ein Vorgeschmack sein auf das Fastnet Race?

 

Unter Maschine fuhren wir dann anschließend den River Orwell hinauf (die Tide passte gerade) bis zur Woolverstone Marina. Dort hatten wir einen Platz reserviert. Die Crew einer französischen Regattayacht (die wir zuvor im gleichen Wetterfenster auf dem AIS gesehen hatten) nahm uns gegen 01.00 h morgens beim Anlegen die Leinen ab und begrüßte uns respektvoll. Sie sprachen von mehr als 35 Knoten Wind und dass wir ja nur zu zweit in einem kleinen Boot unterwegs gewesen seien und sie zu siebt auf einer großen Regattayacht. Insgeheim waren wir schon auch ein bisschen stolz, zu zweit unter diesen Bedingungen, wenn als letztes Schiff „gefinished“ zu haben.

 

Nach einer kurzen Nacht strahlte am nächsten Morgen die Sonne als wäre nichts gewesen.

 

Der River Orwell zeigte sich als wunderschöner, idyllischer Flusslauf mit naturbelassenem Ufer und zahlreichen Schiffen vor Anker. Es folgten nun die üblichen Formalitäten wie Anmeldung in der Marina, Mitteilung der Zielzeit, Anmeldung zur Rückregatta am kommenden Tag und Verabredung zum Safety Check mit den Mitarbeitern des RORC.

 

Am Mittag bekamen wir Besuch einer erfahrenen Regattaseglerin, die eine ca. 1stündige Inspektion der Gymir inkl. der Sicherheits-Ausrüstung vornahm. Außerdem mussten wir unsere Ideen zum Thema Ruderbruch und MOB demonstrieren. Insgesamt wurde alles für gut befunden. Keine weiteren Beanstandungen. Damit hatten wir hier in Harwich diese Prozedur auch bereits für das Fastnet Race im August erledigt.

 

Am frühen Nachmittag dann Essen und Trinken in Pin Mill, einem bekannten Pub mit den ersten Bierchen des Tages. Die offizielle Siegerehrung und Preisvergabe erfolgte dann bei Royal Harwich Yachtclub am Abend. Hier wurden dann auch große Mengen der holländischen Matjes aufgetischt.

 

Versehentlich wurde uns der vorletzte Platz zugewiesen. Später wurde das noch geändert in „Last Ship Home“. Beim Studium der Ergebnistabellen stellten wir überrascht fest, dass unsere berechnete Zeit länger als die gesegelte Zeit war. Das ist normalerweise nicht möglich bei unserem ORC-Rating. Allerdings wurde uns eine 25%ige Zeitstrafe aufgebrummt, da wir angeblich nicht alle Wegepunkte korrekt passiert hätten. Später am Abend schauten wir dann noch einmal das Tracking unserer Gymir an und tatsächlich – wir hatten an einem Wegepunkt (der einzige, der nicht durch eine Tonne definiert war) etwa 100 m „geschnippelt“. Und dafür 25%! Ganz schön strenge Regeln. Bei korrektem Segeln wären wir nach berechneter Zeit plötzlich gar nicht mehr auf dem letzten Platz gelandet. Nun ja – wir haben das unter „Erfahrung“ verbucht.

 

Es wurde nicht wirklich spät an diesem Abend denn um 12.00 h des nächsten Tages (Freitag, 31.5.2019) war ja schon der Start der RORC Regatta North Sea Race vor Harwich.

 

Also frühes Wecken, Schiff klarieren und dann frühzeitig zum Startort verholt (Wir hatten das immerhin gelernt).

 

Der Startablauf war ähnlich wie in Scheveningen. Unsere Gruppe startete wieder als erstes und auch diesmal war die erste Tonne „variable“. Alles in allem legten wir diesmal einen sehr guten Start hin und die Kreuzkurse zur ersten Tonne funktionierten wirklich fast perfekt. Andere hatten hier deutlich mehr Schwierigkeiten. Nach der Tonne konnten wir das Geschehen um uns herum bei Raumschotkurs gut beobachten. Die meisten Schiffe mit ausreichender Crew setzten hier schon den Spinnaker. Da wir nur zu zweit unterwegs waren und schon nach 2 Meilen wieder angeluvt werden musste, wählten wir nur die offen gefahrene Genua für diesen Schlag.

 

Es waren nun weitere Tonnen zu passieren und auch einige Windparks. Herrliches Segeln mit viel Sonne und mäßigen Winden. Das Regattafeld zog sich zu einer langen Schlange von Booten auseinander, wir befanden uns im hinteren Drittel – aber lange nicht an letzter Position.

 

Die Rückregatta ist deutlich länger (180 sm) als der Hinweg. Der Kurs führt erst südlich und später weit nach Norden bis zur Tonne „Smiths Knoll“, von dort aus mehr oder weniger als direkter Kurs nach Scheveningen. Noch wussten wir nicht, dass diese Tonne zu unserer Schicksalstonne werden würde.

 

Als die Nacht anbrach, schlief einmal mehr der Wind ein und wir mussten uns durch eine langanhaltende Flaute kämpfen. Am Morgen auf dem Weg nach Norden zur Smiths Knoll immer noch keine wesentliche Windzunahme. Zwischendurch mussten wir sogar die Genua einrollen, um ein unnötiges Schlagen zu vermeiden. Bei einem dieser Manöver kam es zum Bruch des Alu-Führungsarmes der Furlex (ohne Winddruck, ohne Gewalt). Wir bastelten eine mehr oder weniger gut funktionierende Lösung mit Bordmitteln. Eines war jetzt klar: für ein Starkwindsegeln war das System jetzt zu unsicher – aber noch hatten wir ja eine schier endlose Flaute zu durchstehen.

 

Irgendwann kam dann die sagenumwobene Smiths Knoll in Sicht, aber näher kam sie nicht. Die Strömung hatte wieder einmal die Richtung gewechselt, so dass wir scheinbar auf der Stelle standen. In der Erinnerung haben wir viele Stunden lang diese Tonne angeschaut, ohne in der Lage zu sein, sie zu runden.

 

Nach langer Zeit konnten wir die Tonne dann vorschriftsmäßig steuerbords liegenlassen. Es stellte sich ein ganz leichter Wind von ca. 2 Bft ein, so dass wir wieder langsam in die richtige Richtung segelten. Leider hatten wir so schon den größten Teil des Samstags verbracht. Von der Tonne bis zum Ziel waren noch ca. 90 sm zu segeln. Es wurde dann klar, dass wir keine Chance hatten, das Ziel in angemessener Zeit zu erreichen, um am Montagmorgen wieder pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen. Nach einigen Stunden mit langsamer Segelgeschwindigkeit fiel dann die Entscheidung die Regatta abzubrechen und unter Maschine zum Ziel zu fahren. Im Rückblick sicherlich richtig, denn unterwegs kam über die ganze Strecke weiterhin kein richtiger Segelwind auf. Nach 15-16 Motorstunden erreichten wir dann Scheveningen genau so rechtzeitig, dass wir am späteren Sonntagabend wieder Zuhause eintrafen.

 

Fazit der beiden Regatten:

 

Vuurschepen-Race: Beim Start Glück gehabt. Die Flaute abgewettert. Am Ende viele Stunden außerhalb der Komfortzone bei stürmischen Verhältnissen gesegelt. Das Konzept der elektronischen Navigation unter diesen Bedingungen muss noch einmal überdacht und verbessert werden. Wir sind aber angekommen und gewertet worden. Unnötige Zeitstrafe eingefahren (passiert nicht nochmal). Insgesamt tolles Event inkl. der Landveranstaltungen.

 

RORC North Sea Race: Safety Check für das Fastnet Race bestanden. Super gestartet. Wieder viel Geduld in der Flaute gezeigt. Die Smiths Knoll Tonne bleibt in Erinnerung. Offensichtlich zu viel Lose im Vorstag nach vorhergegangenen Sturmsegeln, deswegen Bruch des Führungsarmes der Furlex verursacht. Aufgabe und DNF aus Vernunftgründen. Vielleicht sollte man zukünftig mehr Zeit einplanen, um einfach auf neuen Wind warten zu können. Ein Zeitlimit gab es jedenfalls nicht.


April 2019

 

Überführung der GYMIR von Delfzijl über Groningen und Lemmer nach Muiderzand (Markermeer).


März 2019

 

Diverse small jobs.... u.a. wurden im Cockpit die Aufnahmen für die Instrumente erneuert.